Faszination Bergjagd
Wer sie einmal erlebt hat, wird sie immer wieder erleben wollen. Kaum eine andere Jagdart ist so ursprünglich und faszinierend wie diese. Christian erzählt von seinem Abenteuer.
Ob gemeinsame Jagd nun Grund oder Anlass ist, zusammenzukommen, hängt von den Jägern und ihrer Beziehung zueinander ab. Jedenfalls ist sie geeignet, nicht nur fremde Reviere und Wildarten, sondern auch fremde Länder und neue Leute kennenzulernen. Die besonderen Ereignisse, die häufig zu wunderbaren Erlebnissen führen, kann man zwar über die bekannten und bewährten Reiseanbieter buchen, persönlicher, individueller und die Verbindung von Jägern stärkender ist jedoch die, oft gegenseitige, Einladung ins Revier des Freundes.
So flatterte ohne jeden Papier- und Portoverbrauch die elektronische Jagdeinladung eines langjährigen kollegial-väterlichen Freundes aus dem Alpenraum ein; es sollte auf die Gamsjagd gehen. Davon hatte ich schon gehört, gelesen und mit anderen bei stimmungsvollem „Tottrinken“ nachempfunden. Doch die bisherigen Einladungen in die Alpen waren von großartigen Naturerlebnissen geprägt, nicht jedoch von dieser krönenden Erlegung einer Gams.
Leise Pirsch, endloses Warten
Auf der Jagd wechselt man schnell vom förmlichen „Sie“ ins freundschaftliche „Du“, wie ich den sagenhaften, ungefähr gleichaltrigen Berufsjäger Stefan bald ansprechen durfte. Mit meiner fröhlichen, erwartungsvollen Stimmung hatte ich offenbar sogar die betagte Wirtin des traditionellen Gasthauses angesteckt; denn sie bot mir Früh um halb fünf schon einen frischen „Verlängerten“ an, wie man in Österreich zu einer guten Tasse Kaffee Crème sagt. Dann ging es mit dem grünen Pickup die Serpentinen hinauf ins bergige Revier, ohne meine eigene Waffe; denn die Gewehre der örtlichen Berufsjäger sind so präzise eingeschossen und auf die Verhältnisse hinsichtlich Optik und Kaliber eingestellt, dass man es und damit nicht besser treffen könnte.
Der Auffahrt folgte der Aufstieg in noch höhere Lagen und ich dankte jeder Sport-Stunde der vergangenen Monate für die inzwischen erlangte Kondition, die mich an den Fersen des durchtrainierten Jagdführers heften ließ. Da das Pirschen in den Bergen mit Ausnahme der Topographie denselben Regeln folgt wie in Afrika oder der Lüneburger Heide, wo ich seit Jahrzehnten diese Jagdart bevorzuge, näherten wir uns nahezu unbemerkt den Einständen des Gamswildes in einer schroffen, steilen Bergwand, vor der uns ein schmaler Ansitzschirm Deckung bescherte, damit wir mit Fernglas, Spektiv und Zielfernrohr das Geschehen beobachten konnten.
Begleitet Teppe und Schwenen auf die Bergjagd
Zwei Nordlichter in den Bergen. Begleitet wurden wir von Profi Reinhold Sodia, der uns alles zu dieser spannenden Jagd erklärt hat. Ob wir auch erfolgreich waren? Seht selbst. Es war auf jeden Fall ein großes Abenteuer.
Krönender Abschluss
In der Dämmerung konnten wir zunächst nur Stücke im gelblichen Sommerhaar und wenige bereits im dunklen Winterhaar ausmachen. Mit dem Tageslicht kam dann auch die Möglichkeit, das Wild nach Alter und Geschlecht anzusprechen. Die Ansprache des Geschlechts erfolgt nach den primären Geschlechtsorganen; denn als Boviden, also Hornträger, ist die Differenzierung auf Entfernung über das Gehörn besonders schwierig. An ihm und seinen Wachstumsringen lässt sich jedoch das Alter exakt bestimmen, wenn man die Ringe denn erkennen kann. Ein Gamsbock tat sich auf passender Entfernung nieder und präsentierte seine Krucken in der aufgehenden Sonne.
Die Decke, also die Behaarung seines Hauptes, ließ eine Altersbestimmung im Ungefähren. Sein Verhalten jedoch, gab mir die Gewissheit, dass er hier der „Chef im Ring“, der „Baba“ war; denn nichts und niemand konnte ihn aus der Ruhe bringen: kein zwitschernder Vogel, kein ungestümer Jüngling, keine sichernde Geiß mit ihrem neugierigen Kitz. Er blieb souverän liegen und käute genüsslich wieder. Erst nach annähernd zwei Stunden, die wir Aug in Aug miteinander verbracht hatten, stand er auf; doch da hatte ich schon angelegt und gespannt, den feinen Leuchtpunkt auf seinem Blatt fixiert. Der Abzug des Doppelstechers war ebenso fein, so dass der Schuss mit wenigen Gramm Abzugsgewicht und mit ihm der Gamsbock zusammenbrach.
Ein Rucksack voller Emotionen
Wir gaben ihm, uns und der ganzen wunderschönen Naturszene Ruhe, um das Erlebte und das Erlittene passieren zu lassen. Dann raus aus der Jacke und rauf in die Felswand, um den Gamsbock zu bergen. Dabei ging es bergauf flott, ja für unser Alter fast ungestüm, hinauf; doch der Abstieg war für den Flachländer eine Herausforderung. Den Bergstock nach vorne oder nach hinten? Kann ich den Bergstiefeln vertrauen? Wie verhalte ich mich, wenn ich abrutsche? Kann ich dem Steinschlag ausweichen? Lebensbedrohliche Schauergeschichten anderer Jäger schossen mir durch den Kopf, doch die beruhigenden Worte des in den Bergen aufgewachsenen Profis ließen mich ruhig und festen Halt findend zu Tal absteigen, wo wir die Gams aufbrachen und den Weg zur Jagdhütte antraten.
Zum Mittagessen durfte ich gleich mit zur jagenden Familie des Berufsjägers, bevor wir abends erneut auf die Berge stiegen, um der Rotwildbrunft als respektvolle Beobachter beizuwohnen. Immer dabei war mein Rucksack mit allem Notwendigen, wenn man das Materielle bedenkt. Der Rucksack für den Kopf, gefüllt mit Kenntnis über Land und Leute, Wild und Jagd, der Rucksack für den Körper des Jägers mit Kondition und gutem Auge sowie der Rucksack fürs Herz mit Empathie für die Natur und allem, was in ihr lebt, dürfen für eine solche Jagd, der viele weitere Begegnungen folgen sollen, nicht fehlen.